Es gibt Momente, die man als Anwalt als echtes Highlight empfindet. So ist es mir kürzlich bei der Lektüre eines Aufsatzes des Kollegen Dr. Papenmeier (in Erbrecht effektiv) passiert. Er hat auf folgende Problematik hingewiesen:
Bei Lebensversicherungen, auch privaten Rentenversicherungen, weniger wohl bei Bausparverträgen, wird häufig eine bezugsberechtigte Person für den Todesfall genannt. Diese erwirbt dann mit dem Tod der versicherten Person einen Zahlungsanspruch gegen die betreffende Versicherungsgesellschaft. Bis zum Tod hat der Versicherungsnehmer in aller Regel die Möglichkeit, die Bezugsberechtigung durch Erklärung gegenüber der Versicherungsgesellschaft zu ändern. Diese Erklärung bedarf lediglich der Schriftform. Ein einfacher Brief an die Versicherungsgesellschaft genügt.
Was machen die Versicherungsgesellschaften der Moderne, die scannen das Schreiben des Versicherungsnehmers ein und vernichten das Original. Fallen Erben und bezugsberechtigte Person auseinander, kann dies folgende Konsequenz haben:
Die Erben bestreiten die Echtheit der Urkunde, die der Bezugsrechtsausübung zugrunde liegt. Dies ist ihr gutes Recht, denn in den Vorgang Bezugsrechtsausübung sind sie so gut wie nie eingebunden gewesen. Der bezugsberechtigten Person obliegt dann der Nachweis der Echtheit der vom vormaligen Versicherungsnehmer und jetzigen Erblasser herrührenden Urkunde zum Bezugsrecht. Kommt es zwischen den Beteiligten zum Rechtsstreit, wird das Gericht zumindest erwägen, ein Sachverständigengutachten zur Frage der Echtheit der Urkunde einzuholen. Dieses bringt aber nach allen vorliegenden Erkenntnissen nur das Ergebnis, dass der Sachverständige anhand der eingescannten Urkunde keine Echtheitsprüfung mehr vornehmen kann. Am Original gibt es gewisse Spuren, die eingescanntes Material nicht mehr hat. Damit kann der Sachverständige weder die Echtheit bestätigen, noch eine Fälschung ausschließen. Damit ist eine Beweislastentscheidung gegen die bezugsberechtigte Person und zugunsten der Erben mit unterschiedlichem Wahrscheinlichkeitsgrad im Einzelfall gut denkbar.
All dies macht klar, was benötigt wird, nämlich die Möglichkeit schaffen, dass die Bezugsrechtsausübung oder Bezugsrechtsänderung gerade durch den Erblasser nachweisbar gemacht wird. Die am weitestgehende Empfehlung hierzu geht dahin, die Bezugsrechtsurkunde möge notariell beurkundet werden, was aber unverhältnismäßig viel Geld kostet (beispielsweise bei einer Versicherungssumme von 100.000,00 EUR allein eine Grundgebühr von 273,00 EUR netto). Eine andere Möglichkeit könnte die reine Unterschriftsbeglaubigung für wenige Euro durch eine autorisierte Urkundsperson in der Bezugsrechtsurkunde sein. Eine andere Möglichkeit wäre die Mitunterzeichnung durch Zeugen, z. B. aus der Familie, noch besser durch einen Vertreter der betreffenden Versicherungsgesellschaft etc.. Man könnte vielleicht auch die betreffende Urkunde doppelt ausfertigen, eine Ausfertigung behalten und sich von der Versicherungsgesellschaft den Zugang der zweiten Ausfertigung bestätigen lassen.
Eine Beweissicherung im vorstehenden Sinne sollte man auf jeden Fall betreiben, allein die Bestätigung der Versicherung scheint mir zu unsicher, denn diese kann nicht zuverlässig die Echtheit einer Unterschrift, die auf einer Urkunde bei ihr eingeht, prüfen.
Nach meiner Beobachtung ist das heute angesprochene Problem jetzt erstmals öffentlich gemacht worden, von daher ist zu erwarten, dass gerade in den Erbfällen jetzt hierzu so mancher Streit vom Zaun gebrochen wird. Für uns Anwälte zugegebenermaßen ein neues Feld zum Tummeln! Für die Betroffenen natürlich eine seelische und wirtschaftliche Tragödie.
Übrigens: Auch Banken scannen jede Menge Dokumente ein, z. B. Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall. Hier kann das Problem in gleicher Weise auftreten. Für die Anwaltschaft wird das Ganze bei dem Gedanken noch interessanter, dass unter Umständen Versicherungsgesellschaften und Banken erfolgreich in die Haftung genommen werden könnten, wenn sie Echtheitsprüfungen durch Urkundenvernichtung im Zusammenhang mit Einscannen vereiteln. Wie dies rechtlich zu beurteilen ist, drückt der Hesse auf hochdeutsch wie folgt aus: „Man weiß es nicht…“
Rechtsanwalt Thomas Stein Fachanwalt für Familienrecht und Erbrecht Am Zehntenstein 23, 65549 Limburg Telefon: 06431 / 2 42 06, Telefax: 06431 / 63 18, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (Dieser Rechtstipp ist mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt. Eine Haftung für seinen Inhalt wird nicht übernommen.)