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Rechtstipp 9/2015 - Verantwortungsgemeinschaft

Selten hat mich ein Fachaufsatz so aufgeschreckt wie derjenige meines Kollegen RA Nolting in der Zeitschrift „Seniorenrecht aktuell“:

Auf dem Hintergrund des Sozialrechtes schweben nichteheliche Paare in einer Gefahr, von der selbst ich über drei Jahrzehnte nichts gewusst habe. Landläufig geht man davon aus, dass es zwischen nichtehelichen Partnern keine Unterhaltspflichten oder sonst keine rechtlichen Verantwortlichkeiten gibt. Das Gegenteil kann die Wahrheit sein!

Zwei nichteheliche Partner leben seit vielen Jahren wie Eheleute zusammen. Dann kommt er wegen einer Demenz ins Heim, kurze Zeit darauf sie. Bei ihr reichen die Alterseinkünfte zur Deckung der Kosten nicht aus, das Sozialamt muss einspringen. Er schafft es sogar noch, sich einer anderen Heimbewohnerin trotz seiner Demenz zuzuwenden.

Zivilrechtliche Ansprüche zwischen den beiden existieren nicht, weder Unterhaltsansprüche, noch Widerruf von Schenkungen etc.. Nun kommt aber das

Sozialrecht und kreiert das Institut einer „Verantwortungsgemeinschaft“. Diese erfordert eine objektiv bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft und subjektiv innere Bindungen, die ein wechselseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen.

Spontan schießt einem der Gedanke durch den Kopf, was soll das, denn beide sind in verschiedenen Heimen untergebracht und damit ist die Gemeinschaft aufgelöst. Jetzt zeigt sich, warum Juristen studieren müssen:

Das mit dem Fall beschäftigte Sozialgericht Gießen hat in Fortführung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes und von Landessozialgerichten sinngemäß erklärt, wer so an Demenz erkrankt sei, könne keinen beachtlichen Willen mehr bilden, der aber für die Annahme der Auflösung der Gemeinschaft erforderlich sei. Das Gericht fingiert also trotz der faktischen Trennung der beiden Betroffenen das juristische Fortbestehen der Gemeinschaft mit der Folge, dass er, da leistungsfähig, Zahlungen zur Deckung der bei ihr entstehenden Heimkosten leisten muss. In diesem Zusammenhang wird seitens des Gerichtes insbesondere ausgeführt, es könne bei einer solchen beidseitigen Trennung noch darauf abgestellt werden, wie sich die zunächst in der Wohnung verbliebene Person verhalten habe. Wenn sie nach wie vor die Bereitschaft gezeigt habe, sich um die Belange des Partners zu kümmern, könne eine Verantwortungsgemeinschaft mit den dargestellten Folgen angenommen werden. Anhaltspunkte dafür seien Besuche im Heim, das Vorliegen von Vorsorgevollmachten, die Übernahme einer Betreuung und anderes mehr.

Erst als er verstirbt, lässt das Sozialgericht die Verantwortungsgemeinschaft enden. Tote müssen also nicht mehr zahlen!

Polemik und Trost:

Unser Angela in Berlin hat die Tage zur Flüchtlingsproblematik geäußert: „Wir schaffen das!“ Wenn man den Bürgern, wie in diesem Tipp beschrieben, in die Taschen greift, glaube ich dies. Der Trost besteht darin, dass das künstliche Rechtsgebilde der Verantwortungsgemeinschaft in der Praxis anscheinend kaum vorkommt, weil offenbar weithin unbekannt. Ich habe in über 31-jähriger Anwaltstätigkeit das Problem noch nicht in der Praxis erlebt. Ich habe vier dicke Wälzer zum Sozialrecht im Findex auf den Begriff abgeklopft und nur bei zweien den Begriff überhaupt gefunden.

Nichtsdestotrotz: Der Tipp dieses Monats kann nur an alle Betroffenen gehen, tragen Sie Vorsorge, damit es nicht zu bösen Überraschungen kommt. Der eingangs genannte Autor führt unter anderem aus, man könne durch eine schriftliche Erklärung die Verantwortungsgemeinschaft vermeiden. Diesen Optimismus teile ich nicht, eine Erklärung allein wird nicht reichen, mit qualifizierter fachlicher Beratung sollte es aber gut möglich sein, die Verantwortungsgemeinschaft zu vermeiden.

Rechtsanwalt Thomas Stein Fachanwalt für Familienrecht und Erbrecht Am Zehntenstein 23, 65549 Limburg Telefon: 06431 / 2 42 06, Telefax: 06431 / 63 18, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
(Dieser Rechtstipp ist mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt. Eine Haftung für seinen Inhalt wird nicht übernommen.)