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Rechtstipp 10/10 - Vermieter-Selbsthilfe

Ab dem 19.02.2005 war ein Mieter für mehrere Monate mit unbekanntem Aufenthalt verschwunden. Aufgrund einer Vermisstenmeldung aus seinem Verwandtenkreis wurde seine Wohnung am 23.02.2005 und am 18.03.2005 zweimal polizeilich durchsucht. Der hierüber informierte Vermieter kündigte, nachdem die Mieten März und April 2005 nicht gezahlt wurden. Der Aufenthalt des Mieters blieb unbekannt, am 19.05.2005 verschaffte sich der Vermieter ohne gerichtliches Urteil Zutritt zur Wohnung und nahm diese in Besitz. Dabei entsorgte er insbesondere einen großen Teil der Wohnungseinrichtung. Den anderen Teil lagerte er ein.

Nach Monaten tauchte der Mieter wieder auf und verlangte mit Hilfe eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens für abhanden gekommene,

beschädigte oder verschmutzte Gegen-stände Schadenersatz in Höhe von etwas über 60.000,00 EUR.

Das Amtsgericht und Landgericht Wiesbaden sahen die eigenmächtige Räumung der Wohnung zwar als rechtswidrig an, lehnten aber Schadenersatz, da nicht ausreichend dargelegt und bewiesen, ganz überwiegend ab. Dies hat der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung gänzlich zu Lasten des Vermieters gekippt!
Juristisch ist zweifelsfrei zutreffend, dass die Vorgehensweise des Vermieters als eigenmächtig und von der Rechtsordnung so nicht gedeckt zu bewerten ist. Was aber an der Entscheidung absolut stört, diese Meinung teilen Kollegen von mir sowie Amts- und Landrichter, mit denen ich das Ganze diskutiert habe, ist Folgendes:
1. Von einem Mitverschulden des Mieters ist in der BGH-Entscheidung keine Rede. Warum dieser für Monate einfach verschwunden war, interessiert den Bundesgerichtshof anscheinend nicht.

2. Der Vermieter hatte zumindest die wesentlichen und noch werthaltigen Inventargegenstände des Mieters aufgelistet, der Bundesgerichtshof verlangt aber ein aussagekräftiges Verzeichnis und die Einlagerung der in Obhut genommenen Gegenstände, wobei er zwischen wertlos und werthaltig keine Differenzierung trifft.

3. Der Bundesgerichtshof verlangt weiter, dass der Vermieter in diesen Fällen, um auf der Seite des Rechtes zu sein, eine Räumungsklage mit öffentlicher Zustellung erhebt. Öffentliche Zustellung bedeutet, dass der Vermieter Monate auf ein Räumungsurteil warten muss, von den Kosten des Prozesses und der anschließenden Zwangsräumung durch einen Gerichtsvollzieher (im Regelfall mehrere Tausend Euro) ganz abgesehen.

4. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung die Beweislast für die Werthaltigkeit der zurückgelassenen Gegenstände allein dem Vermieter aufs Auge gedrückt. Er verlangt zu deren Erfüllung ein aussagekräftiges Verzeichnis und eine Wertschätzung durch einen Sachver-ständigen. Jeder Praktiker, der die angebliche Schadenshöhe von über 60.000,00 EUR bei solch einem Mieter vernimmt, kann nur an Goethe denken: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!“ Allein schon diese Behauptung kann man nur in die Nähe eines versuchten Prozessbetruges rücken!

Wie soll man in der Praxis mit diesem Urteil umgehen? Nach meiner Überzeugung sollte ein Vermieter auch in Zukunft den Vorwurf der Eigenmacht in Fällen wie dem geschilderten in Kauf nehmen, aber besonders sorgfältig sein bei der Inventarisierung der vorgefundenen Gegenstände (auf jeden Fall zwei Zeugen, am besten einen mit besonderem Sachverstand für solches Inventar) und der Aufbewahrung von denjenigen Gegenständen, die noch werthaltig erscheinen, auch wenn es noch so lästig erscheint und der Bundesgerichtshof noch nicht einmal einen Fingerzeig gibt, wie lange man soll aufbewahren müssen. Aus meiner jahrelangen Berufserfahrung kann ich sagen, dass sich glücklicherweise die wenigsten Mieter, die auf einmal verschwunden sind, hinterher überhaupt noch melden und gar klagen. Sie verschwinden einfach mit dem Ruf des wilden Westens auf den Lippen: „Wir ziehen weiter!“

Übrigens: Wer glaubt, alle Richter des Mietrechtssenates des Bundesgerichtshofes sind Mieter, könnte Recht haben.

Rechtsanwalt Thomas Stein, Fachanwalt für Familienrecht und Erbrecht, Am Zehntenstein 23, 65549 Limburg Telefon: 06431 / 2 42 06, Telefax: 06431 / 63 18